Mit dem Rezept hatte schon Karl May Erfolg: man wähle ein interessantes Ambiente, reichere es mit einer gehörigen Portion Lokalkolorit an und siedle eine spannungsgeladene Handlung darin an! Genauso ist Lilly Alonso in ihrem Krimi „Mallorquinische Rache“ zu Werke gegangen. Zwei signifikante Unterschiede heben sie aber vom Vielschreiber May ab: zum ersten kennt sie den Schauplatz ihres Romans aus eigener Anschauung, sie lebt seit über 15 Jahren auf Mallorca. (Karl May hat sich das Wissen um den Orient und den Wilden Westen in Reisebüchern, zum Teil aus der Gefängnisbibliothek - er saß wegen Diebstahls und Hochstapelei mehrere Jahre ein - nur angelesen.) Diese 15 Jahre hat sie genutzt, um Land und Leute messerscharf zu beobachten, hat praktisch ein buntes Kaleidoskop buchstäblich „er-lebt“ und lässt es, in einer metaphernreichen Sprache, in ihr Buch einfließen.
Und damit bin ich beim zweiten Unterschied, der sie über den sächsischen Kolportage-Autor erhebt, die wortgewandte, geschliffene Sprache. Krimis dieser Art sollte man nicht „verschlingen“, so groß die Versuchung auch ist, denn der durchgehend gehaltene Spannungsbogen verführt natürlich zu einem gewissen Drive beim Lesen. Man sollte dieser Versuchung widerstehen und das Buch genießen, ab und zu innehalten und es sich auf den sprachlich-kulinarischen Polstern bequem machen, die die Autorin dem Leser ausbreitet.
Getreu der Empfehlung Hans Mosers für den Umgang mit einem guten Wein („Den Wein muss man beißen.“) Es sind vor allem die überaus originellen Bilder und Vergleiche, die dem Leser auf jeder Seite ins Auge springen. Viele haben lokalen Bezug, und allesamt sind sie nicht aus einem Metaphernlexikon abgekupfert, dessen sich das Heer anonymer Schreiberlinge, die sich beispielsweise hinter Massenprodukten wie den Jerry Cotton - Groschenkrimis verbergen, bedient. Sie entspringen vielmehr der fast grenzenlosen (sprachlichen) Fantasie Alonsos, machen das Lesen zum Genuss par excellence und lassen auch das Herz eines Germanisten höher schlagen.
Kostprobe: „Enrique Mayol, der Täter - die Wörter hallten in Llucs Ohren wider: schräg und dissonant wie eine atonale Sequenz von Schönberg“; oder: „Ein ungenießbarer Cocktail verschiedener Gefühle m die nicht zusammenpassten, stieg in ihm auf, als müsste er aufstoßen. Zu der bittersüßen, nach frisch gepressten Orangen schmeckenden Trauer fügte sich mehr als nur ein Schuss Tabasco der Wut.“
Sprachliche Ingredienzen wie diese, zusammen mit der geschickten Kapitelaufteilung machen das Buch zu einem literarischen Krimi, den man in einem Atemzug mit Donna Leon oder Leon de Winter nennen kann. Mit Lilly Alonso hat Mallorca eine Autorin von Format.